Zwirbels freiheitstreibende Sommerreise

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Donnerstag, 4. August 2022. Das Wetter, schlicht ein Traum. Die Temperaturen, sommerlich und ebenfalls traumhaft. Die Wanderschuhe, ein Alptraum, kurz vor dem Zerfall. Trotzdem, die müssen’s noch tun dieses Jahr, ich kann mir ja schliesslich nicht alle zehn Jahre neue Wanderschuhe leisten…

Heute nehmen wir uns die Kulturpromenade vor, welche Teil des Panoramaweges rings um Sulden herum ist, mit Spruchtafeln, Skulpturen und interessanten Klang- und Sichtinstallationen. Kommt doch mit, es lohnt sich!

Georgs durchschnittliche Wandergeschwindigkeit
(Ergänzung des Autors: In Zeitlupe aufgenommen!)

Wir erreichen das Dorf erneut, diesmal von der anderen Seite. Ein Abstecher hinunter zur alten Pfarrkirche muss sein, wo wir auf eine glänzende und gleichzeitig dunkle Vergangenheit stossen, ein Gedenkbuch aus Messing, gewidmet den vielen tödlichen Bergunfällen im Ortlergebiet. Ein zweites, bereits volles Messingbuch finden wir in der Kirche drinnen, mit hunderten von eingravierten Namen jener Bergsteiger, die das Bezwingen des knappen Viertausenders (3905 m) nicht überlebten. «König Ortler», wie er auch genannt wird, ist der höchste Berg Südtirols und gilt unter den Bergsteigern als Königsdisziplin. Seine wilden Grate und steilen Wände tragen allerdings dazu bei, dass alle seine Kletterrouten als anspruchsvoll gelten.

Andächtig verlassen wir die Pfarrkirche. Die Kulturpromenade hat uns wieder. Die Gegend fasziniert immer wieder von Neuem. Gerade noch auf einem Wurzelbewehrten Waldweg schlendernd findet man sich nach der nächsten Kurve plötzlich in einer völlig anderen Welt wieder. Das Suldental tut sich vor uns auf, mit einem herrlichen Blick auf den zweitgrössten Gletscher des Südtirols und der Ortler-Alpen, dem Suldenferner. Auch hier, Klanghölzer, Durchblickrohre aus Holz zur Detailsbetrachtung, ein begehbares Steinlabyrinth sowie vieles mehr zur Selbstfindung im Universum.

Am südlichsten Punkt des Weges, bei der Talstation Rosimbahn, zwingt mich ein medizinisches Problem zur frühzeitigen Umkehr, was wir zuallererst mit einer Kreislaufstabilisierenden Einkehr auf der Terrasse des Lärchenhofs verbinden, sprich: Kaiserschmarrn für Susanne und ein Speckknödel-Süppchen für mich.

Wir teilen uns auf, Susanne erwandert mit Arico den Rückweg des Panoramaweges, ich nehme den Bus zurück zu Zwirbel. Ein Tablettchen und ein Nickerchen sind jetzt die idealen Seelsorger für mich. Nach und nach erreichen mich Susannes Eindrücke, sie war tatsächlich bei der Kneippstation, die man auf dem Rückweg tangiert, im eisigen Wasser drin! Nur schon das Bild löst Hühnerhaut aus, schnell die Bettdecke übergezogen und weiter genickert. Chrrr…

Kurz vor Sulden trifft Susanne auf die evangelische Kapelle von Sulden. Da diese eine bewegte Vergangenheit hatte (die Kirche wurde während des 1. Weltkrieges als Munitionslager missbraucht, erst von den Österreicher, danach von den Italienern, später drohte ihr gar die Enteignung mit Gottesdienstverboten) wurde sie 1957 unter den Schutz der Evangelischen Gemeinde A.B. Meran gestellt. Und davon profitiert sie heute noch, sehr zum Segen für die wenigen Evangelisten hier oben. Man sieht, hier wird die Reformation gelebt, Texte wie das Vater Unser, das Glaubensbekenntnis sowie Luthers Morgen- und Abendsegen liegen zur freien Verfügung auf. Refresher gefällig? Einfach die Texte lesen.

Trotz meiner Panne, es war eine traumhafte Wanderung, und beim Schreiben dieser Zeilen zwei Wochen später wird mir bewusst, dass dies wahrscheinlich der erste Streich des heimwärts drängenden Schicksals war. Aber noch ahnten wir nichts…

En Guete und schlaft gut.

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