Freitag, 18. November 2022. Wir sind da. Ein Paradies müsste dieser Ort sein, ein Wollparadies, so verspricht es sein Internetauftritt. Also, um es vor weg zu nehmen; ja, diesen Ort darf man guten Gewissens als Paradies bezeichnen, und zwar nicht nur wegen der allseits präsenten, sich auf vier Beinen bewegenden Wolle, nein, auch wegen dem Ambiente, denn ein guttuender Spirit mit Herz flutet gerade unsere Seelen, als wir auf unsere beiden Stellplätze eingewiesen werden. Wir freuen uns auf dieses gemeinsame, familiäre Camping Wochenende zusammen mit unserer Tochter Sarah und Ihrem Schatz Philemon. Aber, wohin hat es uns denn genau verschlagen?
Wir befinden uns am Tor zum Emmental, im Spycher-Handwerk in Schwarzenbach bei Huttwil, auch bekannt als Kamelfarm, Schaukarderei, und eben, als Wollparadies. Der Familien geführte Betrieb bietet neben der Wollverarbeitung Übernachtungsmöglichkeiten an, einerseits in mongolischen Jurten, andererseits auf Stellplätzen für Wohnmobile. Während diese ganzjährig nutzenbar sind, stehen die Jurten Behausungen nur im Sommer zur Verfügung. Ja, da lassen wir uns gerne für ein paar Tage nieder.



Samstag, 19. November 2022. Wir nutzen die Gelegenheit zu einer ausgedehnten Besichtigung des Wollverarbeitungsbetriebs. Angefangen bei den Wolllieferanten wie Kamele, Schafe, Kaschmir-Ziegen, Alpakas und Wollschweine, erfahren wir viel Wissenswertes über die Tiere. Habt ihr gewusst, dass ein Kamel erst ab 42 Grad Celsius zu schwitzen beginnt und Kälte genauso gut verträgt wie Wärme? Oder, dass ein Kamel tagelang ohne Wasser und Nahrung überleben kann, um bei der nächstbesten Gelegenheit innerhalb von 10 Minuten etwa 120 Liter Wasser bunkern zu können? Entgegen der weit verbreiteten Meinung wird es nicht im Höcker gespeichert, sondern in den roten Blutkörperchen, die das Wasser wie in einem Ballon aufnehmen. So ist es möglich, dass ein Kamel bis zu einem Drittel seines Körpergewichts an Flüssigkeit verlieren kann, ohne dass es ihm schadet, als einziges Säugetier weltweit. Der Höcker übrigens ist nichts anderes als ein Fett Berg, ein Depot, aus dem das Kamel seine Energie bezieht, wenn die Nahrung knapp wird. Spannend, oder nicht?



Es geht weiter mit der Wäscherei, ganz nach dem Motto: «Nein, diese Wolle ist nicht neu, die wurde mit Perwoll gewaschen!». Danach erreichen wir die Karderei, ein weiterer, unverzichtbarer Schritt in der Wollverarbeitung. Das leise Schnurren von Elektromotoren sowie das monotone Klacken der vielfältigen Bewegungsmechanik erinnert mich an eine Kirchenturm Uhr, es werden zwar keine Zeiger bewegt, dafür überdimensionale Kämme, Walzen und Rollen, welche die wilde Schurwolle in seine Fasern aufteilt und sie fein säuberlich parallel gebündelt in ein luftiges Flies verwandelt. Als Meterware werden diese Matten schliesslich auf mächtige Spulen aufgerollt und danach weiter verarbeitet.
Es gibt noch vieles mehr zu entdecken in diesem Wollparadies, und ich kann euch nur empfehlen, selbst einen Augenschein davon zu nehmen, sei es bei einem Tagesausflug oder als Jurten- respektive Camper Gast. Allerdings, die letzte Station der Besichtigung ist definitiv Sucht gefährdend, denn das riesige Woll-, Filz- und Bettwaren-Fachgeschäft oberhalb der Werkstätten lässt keine Seele kalt, die Wollenes liebt. Auch unsere nicht! Die gerade erstandenen, mit nichts auf der Welt zu ersetzenden Filzpantoffeln, und die herrlich kuschelige Jacke aus Alpaka-Wolle, die musste ich einfach haben! Susanne und Sarah versinken verzückt in den wohlriechenden Schönheitsprodukten aus Schafsmilch, Philemon schnappt sich Arico für eine ausgedehnte Gassirunde, während ich geduldig warte, bis mein Portemonnaie gefragt ist. Und so kommt es, dass wir alle mit strahlenden Gesichtern und Spycher-Handwerk beschrifteten Taschen beziehungsweise gefülltem Hundesäcklein zu Camper und Wohnwagen zurückkehren.

Ein gemeinsames Nachtessen bei gemütlichem Familienambiente lässt den Tag ausklingen. Morgen ist es Sonntag und wir werden weiterziehen, wohin wissen wir noch nicht, schlussendlich aber entscheidet die Wetterkarte. Ich bin mal gespannt!
Sonntag, 20. November 2022. Ich habe es geahnt, denn es gibt Leute, die bezeichnen diese Gegend als, Zitat Eberli: «Am Heiland sin Schüttstei!» Aber, seht selber, da scheint tatsächlich etwas dran zu sein…


Frühstück im Wohnwagen. Es schüttet wie aus Kübeln, und bei der nächsten trockenen Gelegenheit helfen wir uns gegenseitig mit Zusammenräumen. Dann heisst es: «Alle Mann an Bord! Leinen los! Setzt die Segel und lichtet die Anker!». Arico bellt die Startfreigabe, Zwirbel und seine Piloten, gefolgt vom Wohnwagengespann mit den Nachwuchs Campern, rollen los und starten in ein neues Abenteuer. Es ist schön, einmal zusammen unterwegs zu sein!
Diesmal sind es Sarah und Philemon, die uns in ein weiteres Paradies führen, den Stellplatz Panoramablick. Der Bauernhof Hinter-Hochwart bei Steinhuserberg im Entlebuch bietet ein paar Stellplätze mit herrlicher Aussicht an, und wären da keine Solarzellen auf dem mächtigen Scheunendach, könnte man meinen, man wäre im 18. Jahrhundert und es käme jeden Moment Ueli der Pächter mit seinem Vreneli um den Hügel spaziert. Idylle pur, soweit das Auge reicht!






Man braucht schon eine Weile, bis man realisiert, wie atemberaubend das Alpenpanorama hier oben ist. Vor uns präsentieren sich in weiter Ferne Schneeberge; ich könnte mich täuschen, aber sind das da hinten vielleicht…
Ja, sie sind es tatsächlich, Eiger, Mönch und Jungfrau! Susanne zückt ihr Händy, startet die Peakfinder-App und findet weitere Dreitausender wie Sustenhorn, Hinterer Tierberg und viele mehr. Derweil beschäftige ich mich eher mit dem Nahegelegenen und inspiziere ein weiteres Schweizer Original, das stattliche Kräuterfeld nämlich, das René und Edith Blum hier hegen und pflegen. Ich kann nicht anders. Ich muss es einfach tun! Macht ihr mit? Volle Kehle! Eins-zwei-drei und los: «RIICOLAAAA!». Während mein Ruf weit hinten in der Natur verhallt, dünkt es mich, als hätte das eine oder andere Kräutchen gerade vor sich hin gekichert. Ich vermute mal, die wissen ganz genau, dass es ohne sie eine weitere, von uns Schweizern erfundene Spezialität nicht geben würde, die würzigen Ricola Kräuterzucker Bonbons nämlich! Schaut mal!





Arico kündigt Entsorgungsbedarf an. Nein, doch nicht in die Kräuter! Wobei, an der Farbe der Bonbons würde Aricos Geschäft wahrscheinlich nichts ändern, wohl eher am Geschmack. Aber lassen wir das, wir sind schliesslich aufrichtige Hundehalter und lotsen Arico von den Ricola-Ingredienzen weg. Im Hinblick auf die hügelige Umgebung und die bevorstehende, schweisstreibe Wanderung will ich gerade die groben Schuhe montieren, als mich Sarah vor der Tortur errettet und mich mit einem «Duu Paps, ich bruchti no schnell dini Hilf…» von den bereits leicht drückenden Fuss-Schraubstöcken erlöst. Aber gerne doch, danke schön, liebe Tochter!
Und so kommt es, dass die Rechnung einmal mehr für alle aufgeht. Susanne, Philemon und Arico machen sich zu einer hügeligen Erkundungstour auf, während Sarah ihr Notebook mit diversen Unterlagen hervorkramt und wir uns im geräumigen, geheizten Wohnwagen Büromässig einrichten. Die nächsten zwei Stunden ist Kopfarbeit angesagt, und es ist das erste Mal, dass ich die Steuerpflicht in einem Wohnwagen erfülle, inmitten traumhaftem Panoramablick in die Bergwelt. Die moderne Technik macht dies möglich; unser mobiles Zwirbel-WLAN, Sarahs Scanner-App auf dem Händy, sowie die nette zürcherische Geste, Sarahs Steuererklärung vollkommen papierlos und online einreichen zu können. Wie genial ist das denn!
Es dunkelt bereits ein. Das Hügelerkundungs-Trio ist zurück und zeigt uns fantastische Bilder, die auf der Wanderung entstanden sind. Sarah und ich indessen stecken tief in den Zahlen – nein, nicht in den roten, noch sind sie schwarz. Eine Kanne Tee ist bereits aufgesetzt, Süsses dazu liegt zum Verzehr bereit. Arico hat sich in seinem geliebten Kuschel-Donat eingerollt und unsere Gegenüber erholen sich bei entspannendem Lesen. Sarah und ich heimsen noch ein paar Steuerspartipps aus dem Internet ein, schaffen es tatsächlich, dem Steueramt noch einige Franken in die Abzüge zu schmuggeln und beenden das Ganze mit einem letzten Klick auf «SENDEN». Es ist vollbracht, die Steuerpflicht ist erfüllt und es kommt mir spontan der Slogan in den Sinn: «Ein Wohnwagen ist auch ein Büro». Passt doch!










Montag, 21. November 2022. Es war kalt heute Nacht. Meine ersten Schritte im Gras knirschen, wir hatten leichten Frost. Langsam macht die Sonne mit ihrer spürbaren Wärme auf sich aufmerksam. Es wird ein Traum Tag, auch wenn unser gemeinsames Wochenende langsam zu Ende geht. Ich lasse es mir nicht nehmen, nach dem Frühstück einen Campingstuhl aufzustellen und den zweiten Kaffee windgeschützt an der Sonne einzunehmen. Doch dann…


Ich gebe nach. Schliesslich kann ich mich ja auch auf Zwirbels Trittstufe setzen. Ihr ahnt es schon, kaum schnell den Kaffee gereicht, hatte sich Arico meinen Platz geschnappt. Er liebt diesen Stuhl, und ich bin zu faul, eine zweite Sitzgelegenheit aus Zwirbels tiefstem Keller hervorzukramen. Also, Trittstufe.
Die sonnige Kaffepause ist von kurzer Dauer, denn langsam müssen wir ans Aufräumen denken. Die Frauen kümmern sich um die Innenräume, während wir Männer einer weiteren Pflicht nachgehen, der Entsorgung.


Mit letzten Eindrücken vom heimeligen Hof und herzlicher Verabschiedung bei der Familie Blum machen wir uns auf den Heimweg. Eine Sache gibt es noch, und diese zu ignorieren, wäre eine Sünde. Wenige Kilometer von hier sind nämlich zwei weitere Schweizer Schmankerl zuhause. In Willisau. Dämmert es? Klar, genau, die Guetzlifabrik HUG sowie die DIWISA Distillerie AG, beide mit unwiderstehlichem Fabrikladen! HUG lockt mit seinen Willisauer-Ringli und logischerweise mit dem Ringli-Laden, DIWISA mit dem Gegenmittel, nämlich feinste Spirituosen, um die zu viel gegessenen Ringli wieder zu neutralisieren, sei es mit Kirsch-, Kräuter-, Zwetschgen- und anderweitigen Schnäpsen.





Keine Angst, im Schnapsladen habe ich nichts degustiert, denn ich muss ja Zwirbel noch heim pilotieren. Beim Ringli-Laden hingegen schon, denn eine Überkonsumation dieses Suchtmittels kann die uniformierte Exekutive ja nicht nachweisen. Kleiner Tipp, die kleinen Ringli posten, die gibt es im Halbkilo-Sack, können bequem während dem Fahren kredenzt werden und passen mit einem Griff in den Mund!


Tschau zusammen, bis zum nächsten Abenteuer!
Unser Familien Kurztripp führte uns gleich in zwei Paradiese, dem Wollparadies in Huttwil, besser bekannt als Spycher-Handwerk AG, und danach in ein Naturparadies mit Aussicht, dem Stellplatz Panoramablick auf dem Hof Hinter-Hochwart in Steinhuserberg. Herzlichkeit und Gastfreundschaft gehört auf beiden Betrieben zur Selbstverständlichkeit, und dafür bedanken wir uns ganz herzlich. Schön, dass es solche Orte gibt, wir kommen sehr gerne wieder!