Drei Herren im Herbstdampf

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Samstag, 8. Oktober 2022. Wir sind wieder einmal unterwegs. Und, etwas unüblich für die Ferienzeit, männlich unterwegs! Nur Zwirbel, Arico und ich. Ohne Susanne. Keine Angst, es ist weder etwas passiert noch hängt der Haussegen schief, es war vielmehr die Spontanität, gepaart mit gegenseitigen und unterschiedlichen Bedürfnissen, die uns dazu bewogen, die erste Herbstferienwoche mal solo zu verbringen. Susanne war gerade im Nähfieber, hatte in jener Woche einige Pullover-Projekte und mit Freundinnen abgemacht. Ich war eher wieder einmal auf der Suche nach Ruhe, nach Abschalten, nach Sinnieren und nach einer gewissen Altersbedingten Selbstfindung.

«Aaaarico! Komm, es geht los!» Gemäss der Abschiedszeremonie direkt neben Zwirbel hätte man meinen können, ich wolle auswandern, aber es tut gut, zu erfahren, dass man schon vermisst wird, bevor man überhaupt losgefahren ist. Wobei, wenn ich die Umarmungen und Streicheleinheiten zähle, dann überkommt mich der Gedanke, dass Arico ein paar mehr einheimsen konnte…

Fürsorglich wie sie ist, hatte mir Susanne einen ersten Übernachtungsplatz herausgesucht, nachdem ich mich endlich für eine grobe Reiserichtung entscheiden konnte. Neu für mich soll die Gegend sein, und im Ausland soll sie liegen. Und es könnte sicher nicht schaden, wenn der Weinanbau in jener Region nicht ganz unbekannt ist. Frankreich vielleicht? Alors, on parle francais, Alsace, nous arrivons bientôt!

Keine zwei Stunden später erreichen wir den malerischen, kleinen Ort Turckheim im Elsass, wenige Kilometer von Colmar entfernt. Susannes Recherche entpuppt sich als Geheimtipp, der kleine Camping Le Médiéval direkt neben der Altstadt bietet für weniger als 20 Euro pro Nacht alles, was das Camperherz begehrt. Moderne, saubere und grosszügige Sanitäranlagen, gepflegte und riesige Parzellen, durch Hecken getrennt, Strom, Wasser und Abwasser direkt am Platz. Vom kleinen Fluss Le Logelbach abgetrennt gibt es einen Bereich, der für Camper ohne Hunde reserviert ist, auf dem anderen Teil des Platzes ist vierbeiniges Dasein inklusive Bellen erlaubt, und genau da nisten wir uns ein. Ja, es gefällt, und ein erstes Bierchen nach der Ankunft lässt fast vergessen, dass wir drei uns nun eine Woche lang ohne Susanne über Wasser halten müssen. Apropos Wasser… Ach, wie lieb, sie hat mir noch Mineralwasser eingepackt, ich bunkerte lediglich einige Büchsen Bier und zwei Flaschen Wein, so für die erste Zeit. Meier, Meier, Meier…

In Begleitung der Abendsonne zaubere ich in dieser Woche erste Delikatessen auf den Teller, richte den Kartuschen Kocher ein und mache mich ans abendliche Diner. Meine Kochkünste erlauben mir eine Symbiose von Mini-Filets im Teig, an mit Vin Rosé abgelöschter, würziger Tomatensosse, begleitet von Handgeschnittenem Endiviensalat an einem französischen Dressing, mit einer feingehackten Knoblauchzehe verfeinert und mit zwei bis drei Prisen Aromat zum geschmacklichen Höhepunkt gebracht. Ja, ich bin zuversichtlich, dies wird eine Gourmet-Woche!

Die Altstadt von Turckheim lädt zum Abendspaziergang mit Arico ein und gibt uns einen kleinen, aber feinen Einblick in die frühere Reichsstadt. Sie gehörte einst zum Römischen Reich, kam danach zum Deutschen Reich, als germanische Stämme den Rhein überquerten und das Elsass eroberten, um später während des Deutsch-Französischen Krieges an die Franzosen über zu gehen, nach dem Krieg zusammen mit dem ganzen Elsass wieder ins Deutsche Reich zu dislozieren, und schlussendlich seit 1918 endgültig zu Frankreich zu gehören. Oh, mon Dieu, quelle misère!

Aber die Häusle hier, die sind schön, das Städtchen ist voller Charme und die heimeligen Beizlis reich an guten Weinen und himmlischen Spezialitäten!

Wir geniessen noch ein wenig den lauen Abend und sagen: au revoir, bonne nuit et à demain!


Sonntag, 9. Oktober 2022. Purer Sonnenschein begrüsst uns und lädt zum Frühstück ein, draussen natürlich. Ich bin gespannt auf den neuen Kaffee, den ich letzte Woche bei der Kaffeerösterei Schwarzenbach gepostet habe, eine exklusive Espressomischung aus verschiedenen Arabicas und Robustas. Die kleine Handvoll Bohnen, die ich sorgsam in die Handmühle rieseln lasse, potenziert die Aromen des Kaffees zusammen mit der milden Wärme der Sonne und dem beruhigenden, monotonen Mahlen der Mühle zu einer Stimmung, die man durchaus als «Leben wie Gott in Frankreich» bezeichnen kann. Auch Arico scheint dies zu spüren, er schlabbert sein Frühstück, setzt sich auf den Campingstuhl und döst im Sitzen vor sich hin.

Einmal mehr zieht es uns ins Dorf mit den drei Toren, diesmal bei Tageslicht. Ich bin erstaunt über die Vielfalt der filigran geschmückten Häuser und stelle fest, dass es hier einiges zu schauen und zu kramen gibt. Arico schleppt mich vehement in einen Blumenverhangenen Hinterhof, ich habe keine Chance, ihn davon abzubringen. Natürlich folge ich ihm, er führt mich bis zu einer steinernen Treppe, die hinauf zu einem lauschigen Laubengang führt. Höre ich da etwa einen Korken knallen?

Ein Weinkeller, der sonntags geöffnet hat! Arico hat mich zu einer Weindegustation geführt! Guter Hund, Arico, dafür gibt es Leckerlis, eines pro Glas Wein, das Herrchen degustieren darf!

Wir sind wieder draussen im Hof. Viel habe ich heute nicht überlegt, denn ich habe zwei hervorragende Weine der Alsace Grand Crus von Francois Baur gekauft. Also, will meinen, zwei Kartons. Logistisch veranlagt, wie ich bin, fülle ich einen ersten Rucksack mit Weinflaschen, Arico schaut mich verdutzt an, als ich mich leicht gebückt und verbissenem Blick sowie mit vollem, schwerem Rucksack aus dem Hinterhof bewege. «Ja, Arico, du kriegst deine Leckerlis schon, darfst dich freuen, es kommen einige zusammen, so viele habe ich gar nicht bei mir, musst warten, bis wir wieder bei Zwirbel sind!»

Auf dem Rückweg lacht uns eine weitere Möglichkeit an, Geld auszugeben. Ein Fabrikladen und Outlet Store der Firma Zwilling Staub France SAS. DIE Traumfabrik für begnadete Köchinnen und Köche sowie jene, die einfach gerne Gourmetmässig kochen. Ihr wisst schon, so wie ich gestern.

Der Laden ist zum Glück zu, denn mein Rucksack ist voll, aber ich komme wieder, denn Susanne wünscht sich schon lange so ein… Nein, mehr verrate ich nicht, denn Vorfreude ist die schönste Freude! Seid einfach mit uns dabei und lest weiter.

Zurück bei Zwirbel. Der frühe Vogel fängt den Wurm! Nach diesem Motto werden wir Zeuge einer Szenerie, die im Elsass fast zum Alltag gehört. Es sind die Störche, denen man hier überall begegnet. Rings um den Campingplatz gibt es Horste, wo sich die stolzen Vögel niederlassen, und solange der Platz geöffnet ist und Gäste beherbergt, lassen sich die Langschnäbel gerne verwöhnen. Schaut mal hier:

Fütterung der Störche auf dem CP Le Médiéval

Kochenszeit. Keine falschen Gedanken jetzt. Die Ravioli gestern sind gegessen und Geschichte, heute geht es deutlich kulinarischer zur Sache. Feines Trutengeschnetzeltes aus eigener Aufzucht vom Schwiegersohn, schmale Nüdeli dazu von Bschüssig, sowie eine Pilzrahm-Fertigsosse von Knorr, dazu zwei Glas Gewürztraminer von Francois Baur, also, da darf man nicht meckern. Ja klar, mit zwei drei Prisen Aromat abgeschmeckt.

Morgen werde ich entscheiden, wie weiter. Einen Tag haben wir noch in Turckheim, danach werden Zwirbels Triebwerke gestartet und sein Autopilot mit einer neuen Destination gefüttert. Mal sehen, wo es uns drei als Nächstes hin verschlägt.

Gute Nacht und bis morgen.


Dienstag, 11. Oktober 2022. «Arico, anschnallen, es geht in die Vogesen!». Ja genau, unterdessen ist unser nächstes Ziel bekannt, nachdem wir gestern noch einen gemütlichen Tag in der Umgebung verbrachten. Also, pflicht-gemütlich, muss ich betonen, denn die restlichen Weine mussten ja noch bei Weinbauer Baur abgeholt und heimgebuckelt werden, und dann durfte natürlich die Einkehr zu elsässischem Flammkuchen nicht fehlen, mit einem hiesigen Bier dazu, in abschliessender Begleitung eines Glases Gewürztraminer. Arico übrigens wurde ebenso nett bedient wie ich und erhielt einen Napf mit frischem Wasser. Lobenswert, danke schön!

Vor lauter Pendenzen hätte ich fast die Zwillinge vergessen, da muss ich noch hin, denn die haben heute geöffnet! Ein kurzes Telefonat nach Hause, eine topseriöse Beratung und der Kauf war getätigt. Zweite Wahl zwar wegen kleinem Farbfehler, dafür einiges günstiger als bei uns. Neugierig? Wollt ihr sehen? Schaut mal:

Was früher als Kochgeschirr unverzichtbar war, ist heute bei uns fast ausgestorben, das gusseiserne und emaillierte «Tüpfi», indem meine Eltern einst mein Lieblingskaninchen «Bööni» in der Sosse garten (Ich kann euch beruhigen, das kindliche Trauma ist unterdessen verarbeitet). Fleischgerichte werden in so einem Gussbräter butterzart, Eintöpfe, Suppen, aber auch Brot gelingen dank der perfekten Wärmeverteilung und der idealen Feuchtigkeit immer, und in Frankreich gehört so ein Cocotte von Staub oder von Le Creuset einfach in jede Küche.

«So, Frauchen glücklich gemacht, jetzt aber los, Arico! Arico? Nee, mein Junge, du bist noch nicht soweit, du darfst Zwirbel nicht fahren, rutsch mal rüber, ich schnall dich an und los geht’s!»

Der Weg führt uns in Richtung Norden, wo wir kurz vor Strossburg nach Westen in die Hügel der Vogesen abzweigen. Die Strasse wird schmaler, kurviger und anspruchsvoller, entschädigt aber mit der herbstlichen Färbung der Wald Flora. Unser Ziel liegt im Département Moselle und heisst Abreschviller. Ein guter Freund und Lokführer, der so ziemlich jede sehenswerte Bahnstrecke in Europa kennt, hatte mir diesen Ort empfohlen, und damit lüftet sich auch das Geheimnis des Blog-Titels «Drei Herren im Herbstdampf». Aber mehr darüber später. «Arico, siehst du irgendwo diesen neuen Stellplatz, der noch in keiner Karte zu existieren scheint? Dort unten vielleicht? Komm, wir fahren da mal hin!»

Wir sind da. Keine Menschenseele vor Ort. Man könne sich einfach irgendwo hinstellen, hiess es im Mail. Gebucht hatte ich diesen Platz über Booking.com, anders liess sich die Platzbetreiberin noch nicht erreichen. Das Navi führte mich zuerst dank (m)einer falschen Eingabe der Adresse in den französischen cacao (auf Deutsch Kakao). Doch nun scheint alles zu stimmen. Schön ist es hier, auch wenn wir weit und breit die Einzigen sind. Aussteigen, Hund, Zeit für Gassi! Eigentlich sollte ich auch mal, da drüber sind die Häuschen…

Hund und Herrchen haben entsorgt, einen ruhigen sonnigen Spaziergang genossen und sind gerade dabei, uns häuslich beziehungsweise zwirblich einzurichten. Plötzlich schreckt Arico auf. Ein Schnauben bricht das Schweigen der idyllischen Stille. Arico knurrt, schaut mich fragend an. Noch bin ich ratlos, denn das mysteriöse Grunzen und Quietschen spielt sich unmittelbar hinter der abgrenzenden und blickdichten Hecke ab. Wir rennen nach draussen. Urplötzlich macht sich Zwirbel bemerkbar. Zwirbel faucht, Rauch steigt aus seinem Dachfenster! Was!? Brennts da in Zwirbel drin!? Himmel, wo sind wir hier gelandet! Der Franzosenkrieg ist doch längst vorbei!

Morgen: Das grosse Aufatmen.


Mittwoch, 12. Oktober 2022. Ihr könnt aufatmen, liebe Leserinnen und Leser, Zwirbel brennt nicht wirklich, denn die Rauchsäule stammt aus einer Dampflokomotive der Schmalspur-Waldbahn von Abreschviller. Lokschuppen, Bahnhof und Geleise liegen direkt hinter der Hecke vom Campingplatz, und somit wird man hautnah mit dem Geschehen konfrontiert. Also, mir gefällts, ein herzliches Dankeschön an dieser Stelle, lieber Florian, für den tollen Tipp! Da geht einem doch das Herz auf, oder nicht? Schaut mal her!

Ein Dampfzug verlässt den Bahnhof Abreschviller

Ihr seht, ich kann so ein Abenteuer nicht einfach ignorieren, es liegt also auf der Hand, dass ich schon gestern einen Platz mit Hund online gebucht habe, nachdem ich sah, dass in dieser Jahreszeit nur wenige, öffentliche Dampffahrten stattfinden. Die heutige Morgenfahrt ist für Gruppen reserviert, aber für die Nachmittagsfahrt, da gibt es noch freie Plätze, und da sind wir dabei!

Ich zähle die Minuten, während Arico ein ausgedehntes Nickerchen macht. Ich bin gespannt, wie er auf dieses Abenteuer reagieren wird, denn so ein schnaubendes, fauchendes Ding, das raucht, russt und pfeift, so etwas hat Arico noch nie gesehen. Wir nutzen die Zeit und spazieren zusammen durch das Bahngelände, bevor die Szenerie zu leben beginnt. Vor dem Lokschuppen wird gerade unser Zugpferd, eine Mallet aus dem Jahre 1906, betriebsbereit gemacht, und ich werde den Gedanken nicht los, dass Arico den aromatischen Duft von heisser, glühender Kohle, Öl und Dampf irgendwie sympathisch findet. Tja, wie das Herrchen, so der Hund!

Dann wird sie an die Wagen gekoppelt, die Mallet, die einst als Einzelexemplar von der Maschinenfabrik Heilbronn für diese Waldbahn gebaut wurde. Interessant, mehrere Wagen stammen von der Wengenalpbahn, die nach der Ausmusterung günstig erworben und umgebaut werden konnten. «Komm, Arico, es wird Zeit zum Einsteigen!»

Pünktlich um drei Uhr läutet die Bahnhofsglocke. Ein schriller Pfiff ertönt, weisser Dampf entweicht aus den Entwässerungsventilen, schwarzer, russiger Rauch steigt auf, während die vier Zylinder unter wechselseitigem Stampfen und Fauchen den Zug langsam in Bewegung setzen. Arico schaut mich verdutzt an, aber nach einigen Metern holperndem Vorwärtskommen scheint er sich daran zu gewöhnen und geniesst den lauen Fahrtwind, eingebettet in seinen vertrauten Tragsack. Freunde, wir schwelgen gerade in einer Welle von Nostalgie, kommt doch einfach mit und schwelgt mit uns!

Unterwegs mit der Waldbahn

Im Weiler Grand Soldat werden Mensch und Maschine aufgetankt und die Lok umgesetzt. Wir haben eine halbe Stunde Aufenthalt, die ich für einen Hundespaziergang nutze. Eine holländische Familie mit kleinen Kindern finden Gefallen an Arico, denn sie spielen mit dem Gedanken, ebenfalls einen Hund anzuschaffen. Arico geniesst die schier endlosen Streicheleinheiten, und zum Dank werden wir sogar abgelichtet, zusammen mit der ruhenden und sanft räuchelnden Mallet.

Der Rückweg. Es wird Zeit für eine Bilanz. Der Besuch dieser Waldbahn ist für Eisenbahnfans nur zu empfehlen, der Fahrpreis mit 14 Euro durchaus angemessen, denn man ist immerhin eineinhalb Stunden unterwegs. Es gibt noch mehr zu entdecken, je nach Jahreszeit werden Westernfahrten mit theatralisch begleiteten Einlagen angeboten, auch ein Harry Potter Zug ist regelmässig im Einsatz, mit entsprechender Kulisse. Interessiert? Klick zur Webseite: Train Forestier et Touristique Abreschviller.

Relaxed und zutiefst befriedigt erreichen wir gegen Abend den Bahnhof Abreschviller. Arico schlief auf der Rückfahrt auf seinem Tragsack ein, das sanfte Schaukeln der Waggons schien im zu gefallen. Wir geniessen danach den lauen Abend, draussen vor Zwirbel, Arico mit Fresschen und frischem Wasser, ich mit Resten aus der Küche und einem Glas Wein. Morgen werden wir uns wieder auf den Heimweg machen, gemütlich und offen für Neues.

Doch, ungeplant und plötzlich, kommt Bewegung in den Abend. Zwei Campingbusse reisen an, öffnen ihre Türen und… Action! Leinen los, kann man da nur sagen! Arico hat zwei Spielkameraden gefunden, ein Bolonka und ein Shih Tzu, beides Buben und zu allerlei Schabernack aufgelegt. Die drei verwandeln den Campingplatz in eine Rennbahn, und so geht ein erlebnisreicher Tag mit einer gesunden Portion Hunde-Action zu Ende.

Die drei Herren Zwirbel, Arico und ich verabschieden sich, wir bedanken uns für euer Dabeisein und freuen uns natürlich, wenn ihr uns beim nächsten Abenteuer wieder begleitet.

Tschüss, bis zum nächsten Mal!


Ach, übrigens, die Cocotte von Staub, die blieb nicht lange unbenutzt. Schon bald brutzelte Susanne erste Eintopfgerichte in dem Ding. Und, Freude herrscht! Sie ist begeistert davon!

Tschüss und en Guete!